Das macht der mit Absicht!
Was dich an anderen nervt, hat mehr mit dir zu tun, als du glaubst. Du hast irgendwann vorher schon einmal Vergleichbares erlebt und dein Hirn ein Programm geschrieben, dass dir die Galle immer dann hochkommen lässt, wenn wieder einer auftaucht, der Ähnlichkeiten mit dem Arschloch von damals hat. Spannend, oder?
Also mein Vater hat sich von meiner Mutter getrennt, da war ich fünf Jahre alt. Mit Ruhm hat er sich nicht bekleckert, auch später wurde nie eine richtige Beziehung draus. Ich habe mich eher wie ein fremder Gast gefühlt, wenn ich ihn mal besuchte.
Aber mein Stiefvater war die Höchststrafe. Sein Hass, seine Missgunst, er war König der schlechten Laune. Zudem hieß es immer wieder „Brille ab!“, bevor er mir eine knallte, weil ich ihm nicht in den Hintern gekrochen bin und tat, was er wollte. Jede Ohrfeige kostete ihn mindestens einen Zwanziger, den ich mir danach regelmäßig aus seiner Brieftasche klaute, trotzdem war die Zeit die Hölle.
Warum ich das jetzt erzähle? Nein, natürlich will ich dich hier nicht volljammern. Es geht viel mehr darum, dass ich deswegen bis heute noch allergisch auf Leute reagiere, die entweder so aussehen, wie dieses Tier, oder wenn sich jemand achtungslos und abfällig gegenüber anderen, insbesondere Schwächeren verhält.
Bis heute noch reagiert mein Körper, bis heute noch denke ich manchmal über ihn nach, ohwohl er schon gestorben ist. So einen starken miesen Eindruck hat er in mir hinterlassen.
Weil wir alle ähnlich ticken, wird es bei dir ganz genauso sein. Wir speichern emotional bedeutsame Momente und Menschen ab und richten uns darauf ein, diese Momente und auch Personen möglichst schnell zu erkennen, um uns künftig vor denen zu schützen. Folglich bildet sich im Gehirn ein Abbild von sicheren Kriterien, anhand derer diese bedrohliche Situation oder dieser bedrohliche Mensch gut zu identifizieren und für unsere Wahrnehmung schnell erkennbar ist.
Natürlich speichern wir alle auf die gleiche Weise auch bedeutsame positive Menschen und Erlebnisse ab. Nur sind Informationen über positive Erlebnisse im Gehirn weniger (lebens-)wichtig, als bedrohliche Erfahrungen, die unsere Existenz bedrohen könnten, wenn wir sie nicht beachten würden.
Deshalb reagieren wir alle auch so gut auf Schlagzeilen und negative Storys von Leid und Schmerz. Weil uns diese besonderen Informationen unter Umständen einmal nützlich sein könnten, um unser eigenes Leben zu retten. Deshalb gibt es auch viele, die Waffen toll finden, weil man sich mit ihnen schützen kann und im Vorteil gegenüber Angreifern ist. Deshalb ist Stärke ne klasse Eigenschaft, weil sie Gewinnen bedeutet.
Nur haben wir derzeit keinen Krieg und die Kriminalität in den Straßen ist auch nicht derart aus den Fugen, dass man sich wirklich Sorgen machen müsste. Aber die Funktion unserer Sinne ist vordringlich, Bedrohliches und Gefährliches zu erkennen, um unser Leben zu erhalten und uns zu schützen.
Deshalb hast du, wie ich, wie andere, deinen eigenen genauen Katalog an Menschen, die du in Ordnung findest, einen über Leute, die du egal findest, auf die du nicht achtest und ein kleines rotes Buch im Hirn, in dem die Leute vermerkt sind, die dir nicht gut getan haben, von denen du überwiegend nur Negatives erlebt und behalten hast und die nicht verdient haben, dass du ihnen folgst. Ganz genauso gibt es im roten Buch auch Einträge deiner Eltern, also die Leute, die sie nicht gut finden oder fanden. Die vor denen dich deine Eltern gewarnt haben. Manche hast du inzwischen vielleicht auch schon rausgestrichen, weil du inzwischen neue Erfahrungen mit Menschen gemacht hast, die in Ordnung waren, obwohl du ihre Erscheinung zunächst eher abstoßend fandst. Dann hast du aber gemerkt, dass das Aussehen allein nicht ausschlaggebend ist.
Andere Menschen stehen aber trotzdem noch als Vorlage in deinem roten Buch für alle „Arschlöcher“, die du noch treffen könntest und vor denen du gewappnet sein willst und sie schnell erkennen möchtest.
Triffst du nun eins von den vermeintlichen „Arschlöchern“, dessen Verhalten oder Aussehen und Habitus deiner Matritze entspricht, ist er – oder sie – als Arsch markiert, eigentlich egal, was er wirklich gemacht hat. Alles Fehlende wird schnell von deinem Gehirn ergänzt: Sieht so aus. Check. Spricht so auf die Weise. Check. Verhält und bewegt sich so und so. Check.
Deine Analyse ist fertig und das Gegenüber unten durch. Muss ein Arsch sein, er erfüllt ja alle inneren gespeicherten Kriterien. Klarer Fall denkst du.
Falsch gedacht.
Wie gesagt: Es ist deine Analyse. Gefärbt von deinen Erfahrungen und allem, was du gelernt und beigebracht bekommen hast. Bei dir ist es also exakt entsprechend all deiner eigenen Erfahrungen so gekommen, dass deine Wahrnehmung natürlich auf die Dinge achtet, die dir nicht gut getan haben.
Hätten andere Leute dir nicht gut getan, wäre deine Wahrnehmung ja auf andere Kriterien ausgerichtet. Wie vielleicht bei einem deiner Freunde? Der hat andere eigene Kriterien entsprechend seiner Erfahrungen und Kenntnisse. Er achtet auf andere Dinge als du. Findet andere Dinge blöd als du.
Der, den du vielleicht überhaupt nicht abkannst, den finden andere vielleicht vollkommen in Ordnung, weil sie ja nicht deine, sondern ihre Erfahrungen haben.
Das bedeutet wiederum: Das was du am anderen nicht magst, das liegt an deiner eigenen Erfahrung und deinen individuellen Kriterien über blöde oder coole Leute. Aber nicht an dem, was der andere macht, was er sagt, denkt und wie er handelt. Das was du blöd findest an anderen, ist deins. Hat nichts mit dem anderen zu tun. Hättest du das gedacht?
Klar gibt es auch Konflikte. Der andere hat etwas gemacht, was du nicht willst, was deine eigenen Interessen bedroht. Das ist was anderes. Da gibt es ja was zu klären.
Ich meinte hier Sympathie und Antipathie. Also wenn du jemanden magst oder nicht, ohne, dass ihr direkt was mit einander zu tun haben müsst. Nur wenn du jemanden siehst, oder beobachtest, läuft deine Rasterfahndung automatisch in dir ab. Scannt jeden, alle Situationen und jedes Detail auf Erkennungsdienstliche Hinweise. Einige fallen durch, die kannst du nicht ab, andere findest du cool und bist gern mit ihnen zusammen.
Würde ich nur nach meinem inneren Raster gehen, wäre ich sehr wahrscheinlich oft ungerecht und vorurteilsvoll. Um jeden, den ich als „anstrengend“, „blöd“, „dumm“ oder „eklig“ identifiziert habe würde ich versuchen, einen großen Bogen zu machen und allen Kontakt auf ein Minimum reduzieren. Ich wäre denen gegenüber immer verschlossen, ablehnend und hinter meinen eigenen Urteil vor dem anderen verschanzt.
Also alle Dicken, alle Dünnen. Große oder Kleine. Zickigen. Laute. Aggressive und Gewalttätige oder leise stichelnde. Die Jammernden, ewig Klagenden oder die Draufgänger ohne jede Angst. Bettler, Ausländer, Assis. Alle kann es treffen.
Jeder kann in ein Raster passen, je nachdem, was du erlebt oder gelernt hast. Und dem entsprechend schaust du auf die Leute und beurteilst sie nach deinen eigenen Erfahrungen, nicht nach dem, was sie sind oder tun. Kannst du das nachvollziehen?
Auch Verhaltensweisen sind so eine Falle. Bewegungen, Tonfall, Stimmfarbe, Sprechgeschwindigkeit. Alles kann es sein, das in dir eine Erinnerung hervorruft, die für dich eher blöd war oder man dir beigebracht hat, dass etwas blöd ist. Und du überträgst deine Erinnerung auf die andere Person, die aber nichts mit deinem Erlebnis zu tun hat. Und bist genervt.
Der macht das mit Absicht! Das kannst du bei genauer Betrachtung nur in ganz wenigen Fällen feststellen. Meistens handeln die Leute überwiegend in ihrem eigenen Interesse. Sie denken vielleicht nicht einmal daran, dass ausgerechnet du dich daran stören könntest. Hatten überhaupt nicht vor, dich zu nerven. Jedenfalls nicht mit Absicht. Sie haben einfach gemacht, was sie gerade tun wollten und du störst dich jetzt vielleicht daran, weil es dich an etwas erinnert, was du damals auch schon blöd fandst.
Manche Eltern glauben, ihre Kinder machen mit Absicht Dinge, die sie selbst dann ärgern sollen. Glauben also an einen durchdachten Plan eines kleinen Kindes, die Schwächen der Eltern herauszufinden, um dann besonders da reinzupieken. Es ist nicht wirklich so.
Kiddies verfolgen, wie Erwachsene ihre eigenen Ziele mit ihren als erfolgreich abgespeicherten Methoden. Was immer funktioniert und Aufmerksamkeit der Eltern garantiert, ist, sie zu nerven. Ganz genau mit dem, über das sie sich am ehesten und meisten aufregen. Und damit das alles wieder aufhört, sind sie am ehesten bereit, ihren Kindern das zu geben, was sie wollen. Ein perfekter Plan. Zeugt von Intelligenz. Aber nicht von Boshaftigkeit.
Erst wenn man lange Streit mit jemandem hat und immer wieder aneinandergerät. Dann kann es passieren, dass erst einer und dann meist sogar beide mit Absicht Dinge machen, die den anderen ärgern sollen, bis sie zuletzt aufeinander losgehen. Aber erst dann passieren absichtlich Handlungen, die den anderen mürbe machen sollen. Wie bei einem langen Boxkampf.
Meistens ist es aber eher so, dass man für andere viel weniger interessant ist, als man denkt. Das, was man selbst macht, fällt eben nur sehr wenigen auf. Nämlich nur denen, die genau darauf besonders achten. Alle anderen sind mit anderen Dingen beschäftigt und wollen nicht wirklich was von dir. Auch wenn es dich nervt, was sie tun.
Ok, denkst du. Was also soll ich machen, wenn ich doch so viele Leute treffe, die mich nerven, abstoßen, mich aufregen. Was soll ich machen, wenn ich andauernd denke, dass andere mich mit Absicht ärgern wollen? Das kommt jetzt.
Schritt 1.
Mach dir einmal klar – schreib es auf, wenn es hilft, sich zu erinnern – wer dir in deinem Leben besonders negativ aufgefallen ist. So etwa, dass du sogar oft an diese Person denkst, obwohl sie nicht immer um dich ist. Überleg dir, mit wem du dich gezwungenermaßen arrangieren musst, weil du nicht wegkannst. Wer ist mit dir oder mit deinen lieben Leuten mies umgegangen? Und wen mögen deime lieben Leute besonders nicht, die du dagegen aber magst. Das können sogar die gleichen Leute sein.
Schritt 2.
Entschuldige dich im Geiste bei allen denen, zu denen du bisher vielleicht ungerecht gewesen bist, weil sie in dein Raster passen. Und verzeih dir, dass es dir passiert ist, weil du eben deine Erfahrungen gemacht hast und an deinen Einstellungen noch feilen willst. Das ist besonders wichtig.
Schritt 3.
Beobachte dich selbst. Gibt es an dem anderen störende Eigenschaften, die du an dir selbst vielleicht nicht magst? Oder gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dir und dem anderen und dir ist es nicht recht?
Oder könnte dieser Mensch „Konkurrenz“ für dich bedeuten und deshalb hast du ihn nicht gern um dich?
Schritt 4.
Dieser Schritt passiert automatisch ohne dein Zutun. Du kannst dich ab jetzt schon auf dein Unbewusstes verlassen. In Zukunft wirst du alle Leute und Situationen genauso scannen, wie bisher. Aber dir fällt plötzlich auf, dass das passiert. Dadurch erst kommst du in die Lage, dem anderen absichtlich fair und unbelastet gegenüberzutreten, weil du jetzt erst entscheiden kannst, dem anderen seine verdiente Chance zu geben, deinen „Rastereindruck“, den du ja hattest, zu entkräften. Vielleicht werdet ihr jetzt sogar Freunde, weil du jetzt die Erfahrung machst, dass nicht alle so sind, wie der eine blöde Mensch damals. Selbst, wenn dich viel an deine damaligen „Arschlöcher“ erinnert, heißt es nicht automatisch, dass dir immer wieder eins gegenübersitzt. Wenn du genauer hinsiehst und auf Dinge achtest, die du vielleicht cool findest, findest du die sicherlich auch.
Ganz egal wie du es machst. Das neue Wissen, dass du in diesem Moment in dein Hirn hineinlässt schafft dir mehr Optionen. Du weißt plötzlich von Vorgängen, die man sonst kaum bemerkt, weil man einfach nicht darüber nachdenkt. Und du kennst jetzt dein inneres Rasterprogramm, dass dich in erster Linie vor neuen miesen Erfahrungen schützen möchte. Dafür ist es wirklich gut.
Bei schlechter Laune aber und beim ersten Eindruck müssen wir alle Acht geben, wenn wir nicht ungerecht sein wollen und eigenen Vorurteilen mehr Raum geben, als der Person, um die es geht. Dann nämlich wirkt unser Raster eher negativ und hält uns in den vergangenen negativen Gefühlen fest. Dann haben wir auch keine Möglichkeit, etwas zu verändern. Kaum ist jemand durch das Raster gefallen, fliegt er ohne weitere Gedanken schon in den imaginären Kerker unter euch und wird deinen Löwen zum Fraß vorgeworfen. Zack zack, schnelles Denken. Ungenau, aber Problem schnell gelöst.
Es gibt so aber auch viele ungerecht Verurteilte im Kerker, wenn man nicht ein kleines bisschen mehr nachdenkt, ob derjenige tatsächlich dahin gehört. Meist ist es nur der eine, der damals damit angefangen hat, dich zu nerven. Der tatsächlich etwas mit Absicht gemacht hat.
Alle anderen, die dich nur an ihn erinnern, die deine Aufmerksamkeit darauf stoßen, ohne das mit Absicht zu wollen. Sie können ja nicht wissen, was du erlebt hast und wo du besonders empfindlich bist. Zu ihnen allen wärst du ungerecht, wenn du sie nicht ebenso gut kennen würdest, wie dein Widersacher von damals.
Wie anfangs schon erwähnt: Ich muss immer besonders bei dicken Männern mit fast Glatze und einem immer verzerrten angestrengten Gesicht aufpassen. So sah Herman aus. Mein Stiefvater. Ich habe schon einige getroffen, die zwar ähnlich aussahen und sich ähnlich bewegten, wenn ich jedoch mit ihnen sprach, waren sie freundlich, zuvorkommend und achtungsvoll. Aussehen und Bewegung, Habitus: Das allein reicht noch nicht für ein gerechtes Urteil.
Gut ist, wenn du genau schaust, dich einlässt, Kontakt aufnimmst und neue Erfahrungen machst. Das entspannt auf Dauer mächtig.
Dabei wünsche ich dir allen Erfolg der Welt!